Die Hamburger Politik und Wirtschaft fragt sich bekanntlich, zitiert nach einer Initiative der Handelskammer, “wie und wovon wir in Zukunft leben wollen”.
Hamburg steht nach Jahrzehnten des Aufs und Abs der Wirtschaft wieder einmal vor wichtigen Weichenstellungen, so auch in der Weiterentwicklung des Finanzstandortes.
Die Finanzindustrie in Hamburg ist bisher geprägt durch einen respektablen Banken- und Versicherungsstandort, einer Börse mit jahrhundertealter Tradition und einer neu entstandenen Szene von FinTechs. Um die Jahrtausendwende wurde der Finanzplatz auch durch prosperierende Emissionshäuser mitgeprägt, die Schiffe, Immobilien, Infrastruktur und erneuerbare Energien finanziert haben. Die enge Verbindung der Finanzindustrie mit Handel und Industrie in Hamburg war immer ein wichtiges Kennzeichen, anders als in anderen Metropolen und Finanzzentren in der Welt, deren Bezug zur Region und Realwirtschaft oft nicht mehr allzu stark ist.
Wachstum passiert jedoch nicht von selbst. Es ist Zeit, über ein neues Leitbild, zumindest aber über neue Ideen für den Finanzplatz Hamburg nachzudenken, der im nationalen Ranking zunehmend unter Druck gerät. Diese Aufgabenstellung wurde bereits mit dem Masterplan Finanzwirtschaft aufgenommen, der von der Hamburger Finanzbehörde, der Handelskammer und dem Finanzplatz e.V. erstellt wurde und eine Reihe von Initiativen enthält. Hierzu gehört auch die stärkere Vernetzung mit anderen Finanzstandorten in Europa und der Welt. Delegationsreisen nach Israel und Brüssel bildeten hier einen vielversprechenden Auftakt.
Unter der Leitung von Finanzbehörde und Handelskammer besuchte dementsprechend eine Delegation der Hamburger Finanzwirtschaft (Vertreter von aus Politik, Hochschulen, Banken, Versicherungen, FinTechs, Asset Managern und Beratung) im September 2023 für zwei Tage die irische Hauptstadt Dublin, um zu sehen, welche Merkmale und Initiativen des Finanzstandortes möglicherweise auf Hamburg übertragbar sind oder in Hamburg aufgesetzte Maßnahmen bekräftigen können.
Die nachfolgend beschriebenen Eindrücke geben keine abgestimmte Position, sondern persönliche Eindrücke der Autoren wieder.
Irland mit dem Schwerpunkt auf Dublin kann man sicher als Start-up-Nation bezeichnen, wie etwa Israel oder Singapur, die innerhalb eines halben Jahrhunderts, ohne Bodenschätze oder eine starke Basis in der Industrialisierung, moderne Wirtschaftsnationen aufgebaut haben.
Irland hat erst vor knapp hundert Jahren (1922) nach einem blutigen Unabhängigkeitskrieg und Bürgerkrieg die formelle Unabhängigkeit von Großbritannien erlangt. Das Land war im 19. Jahrhundert mehrmals von Hungersnöten und damit zusammenhängenden Auswanderungswellen gebeutelt und hat dadurch fast 2 Mio. Einwohner verloren. Es verblieb eine Gesamtbevölkerung von zeitweise weniger als 3 Mio. Einwohnern. Land- und Schafwirtschaft und ein paar Werften prägten das für europäische Verhältnisse arme Land.
Fährt man heute durch Dublin, wechseln sich alte georgianische Gebäude mit den hypermodernen Glaspalästen von Tech-Unternehmen wie LinkedIn, Google oder Zendesk ab. Junge Leute dominieren das Straßenbild (Irland hat die jüngste Bevölkerung Europas). 22% der Arbeitnehmer in der Tech-Industrie (bzw. 17% aller Arbeitnehmer) stammen nicht aus Irland; LinkedIn zählt sogar 55 verschiedene Nationalitäten an ihrem Standort in Dublin. 17 der 20 weltweit größten Banken haben Niederlassungen in Irland, das Bildungsniveau ist vergleichsweise hoch und die Bevölkerung hat sich in den letzten Jahrzehnten wieder auf 5 Mio. Iren erholt.
Dass diese Erfolge nur an der – aus kontinentaleuropäischer Sicht als Offshore-Standort – verschrienen Niedrigsteuerpolitik liegt (Körperschaftssteuersatz von 12,5%), ist sicher in dieser Einfachheit eine Legende. Wahr ist, dass 1987 auf einem alten Werftgelände (Dublin Docklands) ein neuer Finanzdistrikt errichtet wurde und ausländische Finanzinstitute mit einer niedrigen Sondersteuer von nur 10% (in der Zwischenzeit wieder 12,5 %) angelockt wurden. Als Hamburger mag man sich da entfernt an die erfolgreiche Geschichte der Speicherstadt und deren Zollfreiheit als Freihafen erinnern, die im 19. Jahrhundert dem Deutschen Reich, zu deren Zollunion Hamburg gehörte, abgerungen wurde.
Die Attraktivität eines Standortes setzt sich natürlich aus vielen Faktoren zusammen und ist aus unterschiedlichen Perspektiven zu beantworten.
Für ausländische Arbeitnehmer gibt es – neben einem auch interessanten niedrigen Steuersatz – eine ganze Reihe von Vorteilen im Land. Englisch macht es vielen leichter, Fuß zu fassen. Integrationsprogramme für Neuankömmlinge vereinfachen den Start. Ein wesentlicher Faktor ist, dass ausländische Arbeitnehmer nicht einem Arbeitgeber „ausgeliefert“ sind. Da es im Tech- und Bankenbereich ein umfassendes Jobangebot gibt, müssen sich Arbeitnehmer bei einem Jobwechsel- oder Verlust nicht gleich mit einem Rückzug in das Heimatland befassen, sondern finden ausreichend Alternativen in Irland. Dies gilt auch für betroffene Familienmitglieder oder Partner.
Der Zuzug von Firmen startete vor Jahrzehnten mit US-amerikanischen Konzernen, die einen ersten Fuß in die EU setzen wollten. Es folgten Banken, Versicherungen, Vermögensverwalter und andere Finanzkonzerne, freilich auch wegen der steuerlichen Vorteile. Aber es konnte sich auch ein Talentpool bilden, der später durch die Tech-Szene, die inzwischen besonders umworben ist, genutzt wird. Zwar sind Uniabsolventen auch ein wesentlicher Talentpool, für professionelles Wachstum benötigen Konzerne gleichermaßen berufserfahrene Praktiker.
Parallel zu der hohen Dichte an Finanz- und Tech-Firmen (die Abgrenzung verschwindet immer mehr) entwickelte sich auch eine professionelle Finanzaufsicht. Diese sei nicht, wie einige denken, durch besonders laxen Umgang mit den Finanzinstituten interessant, sondern – so sagte man uns -, weil sie selbst hochqualifizierte Prüfungen durchführt, die nach außen für die geprüften Finanzunternehmen quasi ein Gütesiegel darstellen. Zudem ist nicht zu vergessen, dass in Irland lizensierte Banken und Zahlungsdienstleister aufgrund des sog. Passportings EU-weit tätig sein können und Irland demnach für nicht-europäische Finanzdienstleister das naheliegende Tor nach Europa darstellt.
Außerdem stellt die Central Bank of Ireland z.B. einen Innovations-Hub zur Verfügung. Dieser stellt keine regulatorische Sandbox dar, innerhalb derer FinTechs mit reduzierten regulatorischen Anforderungen operieren könnten, sondern einen Ort, an dem ein intensiver Austausch mit der Finanzaufsicht über Innovationen stattfindet, und der so zur Qualität neuer und wachsender FinTechs beiträgt.
Die Regierung initiiert zudem Innovationsförderprogramme wie IDA Ireland: Ireland’s Foreign Direct Investment (FDI) Agency, die früher Textilwirtschaft und heute hochskalierbare digitale Geschäftsmodelle in Irland anzusiedeln hilft. Es ist interessant zu sehen, wie die IDA genau analysiert, welcher Typ Unternehmen zu den Wachstumszielen Irlands beitragen kann, und wie diese angelockt werden können.
Daneben spielen eine Reihe von weiteren “Soft Facts” eine Rolle, die Dublin für qualifizierte Ausländer attraktiv macht. Selbst an Montag Abenden, klingt spät noch Live-Musik aus den Bars der Innenstadt. Die enge Vernetzung der Finanz- und Tech-Industrie macht gemeinsame Initiativen und Projekte leichter. Und schließlich lässt der stets präsente irische Humor und tief verankerte Optimismus („today is a shitty day; but tomorrow is going to be the best day“) ein jedes Problem etwas leichter aussehen.
Es stellt sich nun die Frage, was wir von diesem Trip nach Dublin und den dort gemachten Erfahrungen mitnehmen können und auf „Hamburg, unsere Perle“ anwenden können.
Beeindruckt waren wir alle nicht nur von Humor und Optimismus, sondern auch von der riesigen Zustimmung, die die europäische Idee und damit auch die EU in Irland erfahren (mehr als 85 % Zustimmung zur EU). Zudem haben extremes Gedankengut und extreme Parteien weniger als 1 % Zustimmung. Beides ist leider derzeit in Deutschland und abgestuft auch in Hamburg so nicht der Fall und es erfordert viel gemeinsamer Arbeit pro Europa und gegen Nazis. Bei beidem helfen Erfolgsgeschichten und für diese haben wir einige Impulse und Ideen nach Hamburg mitnehmen können.
Die Macht, Steuern zu setzen ist für die Freie und Hansestadt im Wesentlichen auf die Gewerbe- und die Grunderwerbsteuer begrenzt. Körperschaftsteuersätze werden in Berlin entschieden. Trotzdem zeigen viele Beispiele großer Ansiedlungen ausländischer Konzerne in Deutschland (Tesla in Brandenburg, Intel in Sachsen-Anhalt), dass konkurrenzfähige Rahmenbedingungen geschaffen werden können. Zudem ist allen Unkenrufen zum Trotz das deutsche Sozialsystem und das Gesundheitswesen ein Standortvorteil für die Ansiedlung ausländischer Talente, ohne die Investitionen ausländischer Konzerne nicht möglich wären.
Was können wir in Hamburg jedoch konkret für den Ausbau des Finanzstandortes tun und die Attraktivität für Ansiedlungen weiter steigern? Mit dem Masterplan, dem Innofintech-Förderprogramm und der Gründung der FCH Finance City Hamburg GmbH ist bereits Einiges getan worden, nur zeigt das Feedback aus Dublin (und auch bereits das von der Delegationsreise 2022 nach Israel), dass diese Maßnahmen allein und in dem aktuellen Umfang nicht ausreichend sind.
Nachholbedarf oder Optimierungsmöglichkeiten sehen wir in folgenden Feldern:
Darüber hinaus sollte Hamburg bewusst die vorhandenen Stärken einsetzen und in Gründungs- und Ansiedlungsfragen betonen.
Wir haben gesehen, was mit viel Engagement und Patriotismus möglich ist, und wünschen diese Erfolge auch für Hamburg. Deshalb dürfen wir mit einem Zitat des Ulysses-Autors James Joyce schließen:
“I am tomorrow, or some future day, what I establish today. I am today what I established yesterday or some previous day.” („Morgen werde ich das sein, was ich heute baue. Heute bin ich das, was ich gestern gebaut habe.“).
Über die Autoren:
Dr. Nicholas Ziegert ist Gründer und Geschäftsführer der OWNLY FinTech GmbH aus Hamburg, die mit OWNLY Family eine Family Office-Software für Privatkunden betreibt und im Rahmen von Individualprojekten Multi-Asset-Reportinglösungen für die Finanzindustrie entwickelt.
Jan Claas Bringezu ist Gründer und Geschäftsführer der Gravning GmbH, einer in Hamburg ansässigen Unternehmensberatung, die sich vor Allem auf den Zahlungsverkehr in sämtlichen Facetten, über alle Kanäle sowie für alle Beteiligten spezialisiert hat. Daneben engagiert er sich u.a. als Mitglied des Ausschusses für Finanzwirtschaft für die Entwicklung des Finanzplatzes Hamburg.
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Facebook. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr InformationenSie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von Instagram. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr InformationenSie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von X. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
Mehr Informationen