Wie sind neue Geschäftsmodelle im Bereich Banken und Finanzen entstanden? – Und was bedeutet das für die Zukunft?
Dr. Nicholas Ziegert
25. August 2023
Banken gehören zu den ältesten Unternehmen der Welt – die älteste Banca Monte dei Paschi di Siena wurde 1472 gegründet. Neben Unternehmen, die ein klar fokussiertes Geschäftsmodell haben, wie etwa Brauereien oder Tempelbauer (das älteste Tempelbauunternehmen der Welt – Kongo Gumi – musste leider 2007 nach 1429-jähriger Geschichte den Betrieb aufgeben), mussten sich die Geschäftsmodelle von Banken innerhalb der letzten 2000 Jahre jedoch kontinuierlich an die sich wandelnden Bedürfnisse von Wirtschaft und Privatpersonen anpassen.
Als “Geschäftsmodell” bezeichnet man nicht nur das Produkt und die Dienstleistung, die angeboten und verkauft wird, sondern auch die Organisation, die dafür notwendig ist.
“Bank” und “Finanzindustrie” sind Sammelbegriffe, die vom Geldwechselgeschäft hin zur modernen Strukturierung von Investmentbanking-Produkten eine Vielzahl von Themen besetzen.
Gern wird von der “dienenden” Funktion der Finanzwirtschaft für die Realwirtschaft gesprochen. Dies suggeriert, dass die Finanzdienstleistungen den Bedürfnissen der Industrie, des Handels und des Dienstleistungssektors einfach folgen. Hat die Finanzindustrie jedoch auch eigene Innovationen hervorgebracht?
Schauen wir uns die Entwicklung einmal an:
Antike:
Geld und Reichtum gab es schon seit der Antike. Könige ließen ihren Reichtum verwalten und Steuern eintreiben. Die Tempel waren schon früh der Ort einer frühen Form der Vermögensverwaltung. Die Gaben der Gläubigen und die Einnahmen aus den Gütern mussten aufbewahrt, registriert und deren Ausgaben organisiert werden. So entwickelten sich schon die ersten Konzepte einer rudimentären Buchführung, von “Konten” und Schulden. Professionelle Buchhalter hießen im antiken Griechenland übrigens Logisthai. Im 19. Jahrhundert wurde die Idee der Tempel als Hort des Geldes in der Architektur neuer Bankgebäude, die mit “Tempelsäulen” geschmückt waren, wieder aufgegriffen.
Mittelalter:
Im Mittelalter entstanden von Italien ausgehend die ersten Banken (“Banca”), die sich auf das Geldgeschäft in Gänze konzentrierten. Früher waren Geldgeschäfte oft Nebenleistungen, die etwa Händler erbrachten, die Geld wechselten und Wechsel ausstellten.
Die vielen Währungen und Münzprägerechte machten es notwendig, dass Geld in andere Währungen getauscht werden konnte. Guthaben wurden zudem nicht mehr ausschließlich in Münzen, sondern als Rechte wie Wechsel oder Schuldscheine ausgegeben, da der Transport von Edelmetall kostspielig und unsicher war. Fürsten und Könige liehen sich für ihre Kriege und ihren Lebensstil gern Geld von reichen Kaufleuten, wie den Fuggern und Welsern. Diese wurden nicht etwa durch die Zinsen (allein) reich, sondern dadurch, dass sie sich als Sicherheiten oder Gegenleistungen z.B. Schürfrechte für Silberminen oder andere Exklusivrechte übertragen ließen. Als Innovation brachten die italienischen Banken u.a. die doppelte Buchführung – neben den arabischen Zahlen – in die Wirtschaftswelt ein.
Neuzeit:
Die Staatenbildung und damit die Staatsfinanzierung wurde in der Neuzeit immer bedeutender. Könige und Staaten konnten sich nicht mehr über Steuern allein finanzieren. Der Aufbau von Verwaltungsapparaten und stehenden Heeren waren teure Angelegenheiten und bedurften erhebliche Geldmengen. Zudem nahm der Handel zwischen den Ländern zu. Dies führte bei Banken zur Gründung von Filialen und Niederlassungen. Die Banken folgten damit einerseits dem Handelsgeschäft ihrer Kunden, andererseits dienten diese Netzwerke von Niederlassungen auch der Informationsgewinnung. Jacob Fugger verfügte und nutzte um 1500 über ein weitreichendes Niederlassungsnetz, das von Italien und Spanien im Süden bis zu den Niederlanden und den ehemaligen Hansestädten im Norden reichte. Fugger drängte mit seinen neuen Ideen auch in die starren Strukturen der norddeutschen Hanse ein, die nicht bereit war, ihre Organisation auf die neue Zeit einzustellen.
Das implizite Leistungsangebot von Banken war deshalb nicht zuletzt die besondere Kenntnis von Marktpreisen bzw. der diese beeinflussenden Faktoren. Wie verlief die Ernte? Kamen die Schiffe mit Gold und Silber aus Übersee unversehrt in den Häfen an? Wer hat eine Schlacht gewonnen? etc. Die Erlangung und Organisation dieses Informationsvorsprunges wurde fortan ein Kern für die Bedeutung der Banken. Und die erste Bilanz nach doppelter Buchführung stellte Matthäus Schwarz, Buchhalter der Familie Fugger, 1511 auf. Diese neuen organisatorischen Gedanken brachte er aus seinem Italienaufenthalt vom dortigen Lehrmeister Luca Pacioli mit, der 1496 ein erstes Standardwerk zur modernen Buchhaltung verfasste.
Industrialisierung:
Während der Industrialisierung wurde noch mehr Geld für Investitionen benötigt und es entstanden große und kleine Vermögen. In Charles Dickens “Nicholas Nickleby” wird das Streben nach Geld und Reichtum im viktorianischen England schön beschrieben, wie etwa der Banker, der Aktien für eine Handelsexpedition an die nichtsahnenden naiven Anleger verkauft.
Unbestreitbar ist die “Erfindung” der Aktie und die Strukturierung von Aktienemissionen für Industrie- und Handelsunternehmen eine wesentliche Bedingung für die Umsetzung großer Vorhaben, wie dem Bau von Fabriken, Eisenbahnen, Telegrafenleitungen (inkl. derjenigen durch den Atlantik) oder der Ausbeutung von Minen gewesen.
Privatbanken waren dabei große und bedeutende Faktoren der Wirtschaft und waren bei zahlreichen Gründungen von Konzernen, Großbanken, Reedereien und wirtschaftlichen Vereinigungen maßgeblich beteiligt.
20. Jahrhundert:
Das 20. Jahrhundert war das Zeitalter der Investmentbanker. Zunächst entwickelten sie Finanzierungsstrukturen, wie Anleihe- und Aktienemissionen weiter, internationalisierten sie. Aus Unternehmensverkäufen und Übernahmen, die bei wachsender Zahl und Größe der Industrie- und Handelsunternehmen zunahm, machten sie ein eigenes Geschäftsmodell, was für die Außenwelt jedoch zunehmend schwerer zu durchschauen war. Die großen Dealmaker avancierten zu Stars der Bankenwelt. Die Komplexität der Dealstrukturen wuchs mit der Größe und Komplexität der beteiligten Unternehmen. Kauften Unternehmer früher ihre Wettbewerber noch persönlich bei einem Glas Sherry, sind moderne Übernahmen ohne eine Heerschar von Investmentbankern (und auch Anwälten) auf allen Seiten der Transaktion heute nicht mehr denkbar. Deutschland wachte in dieser Welt spätestens mit dem Börsengang der Deutschen Telekom und der Mannesmann-Übernahme durch Vodafone auf. Sicher entwickelten Banker hier die Techniken ihrer Dienstleistungen weiter und schufen vertrieblich so manchen vermeintlichen Bedarf. Innovationen waren dies jedoch nur bedingt. Gleichwohl wurde die Nutzung der Erfindungen aus der Telekom-Industrie von Banken meist sehr rasch adaptiert, von der Telegrafie, über das Telefon, das Fax und schließlich das Internet.
Das digitale Zeitalter:
In den 1990er Jahren begann das digitale Zeitalter, symbolisiert durch PC und Internet. Skalierbarkeit war das Zauberwort für traumhafte Unternehmenswertentwicklungen. Banken verdienten gut an Aktienemissionen und reich gewordenen Unternehmern, die ihr Vermögen professionell verwalten lassen wollten. Sparer wurden zu Aktionären, zumindest aber zu Spekulanten gemacht. Kreditkarten setzen sich weltweit als globales Zahlungsmittel durch, Onlinebanking reifte und der Aktienhandel in Banken wurde leiser (vom lauten Telefonhandel zum leisen Internethandel) aber in seinen Ausmaßen gewaltiger.
In dieser Zeit nutzten wieder findige Ex-Banker die zeitlichen Vorsprünge (Millisekunden) von Handelssignalen, die über schnelle Leitungen an die Börsen vor den üblichen Kommunikationswegen eintrafen, um im Grunde Insidergeschäfte zu tätigen (siehe “Flash Boys” von Michael Lewis), indem Kauf- oder Verkaufsorder mit Wissen größerer Transaktionsorder, aber sekündlich vor diesen, an der Börse eintrafen.
Nach der Dotcom- und der Finanzkrise erlebte die Bankenwelt einen erneuten Aufschwung, der von der allgemeinen positiven Wirtschaftslage und einem weiteren Immobilienboom befeuert wurde. Allerdings wurde in diesen guten Geschäftsjahren die eigene technische Erneuerung vernachlässigt.
Und so kamen zunächst viele hundert FinTechs auf den Markt für Finanzdienstleistungen und stießen in die Lücken, die die Banken im Dienstleistungsbereich offen gelassen haben.. RoboAdvisor übernahmen die Vermögensverwaltung, Mobilbanken die einfachen Geldgeschäfte, Personal Finance Software-Anbieter den Informations- und Beratungsservice. Und die Kontoeröffnung ging auch plötzlich ohne den Besuch einer Filiale. Heute sind eine Vielzahl dieser Fintechs mehr wert als viele Banken und schon längst Milliardenkonzerne (Paypal, Nubank (Brasilien 41 Mrd. USD). Auch, wenn viele einzelne Start-ups gescheitert sind, hat die Fintechbranche einen Platz in der Finanzindustrie besetzt, den Banken fahrlässig offen lassen.
Jüngst erhitzte die Diskussion um das Schicksal der Blockchainanwendungen, wie Kryptowährungen und tokenisierte Assets, sowie die Folgen des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz die Gemüter. Auch hier ist klar, dass sich Banken mit diesen Technologien professionell auskennen werden müssen, egal ob als Nutzer, oder als Betätigungsfeld ihrer Kunden.
Und was lernen wir daraus?
Banken und Unternehmen aus der Finanzindustrie gehörten historisch nicht zu den Innovationsvorreitern, wie dies eher typisch in der Industrie bzw. bei Technologieunternehmen war und ist. Aber auch das für fundierte Geschäftsmodelle der Finanzindustrie notwendige “Dienen” erforderte schnelle Anpassungen an moderne Technik, wie wir das vor allem während der Industrialisierung gesehen haben.
Heute sehen wir noch immer, dass viele Finanzinstitute an ihren Strukturen, die an die Industrialisierung und den herkömmlichen Handel angepasst waren, lange festhalten. Der Begriff “Bank” muss heute notwendigerweise die Dienstleistungen umfassen, die der heutigen – innovativen – Wirtschaft und modernen Privatpersonen dienen.
Würden wir heute eine Bank neu erfinden, so wäre folgende Zusammensetzung der Dienstleistungen und Produkte selbstverständlich: Abwicklung aller Internetkäufe, inkl. “pay now, buy later”-Angebote (Bspl. KLARNA), Instant payment (siehe Paypal u.a.) und weltweites Bezahlen, umfassendes Vermögensreporting anhand einer Vielzahl von Schnittstellen, automatisiertes Investieren nicht nur in Wertpapiere (Robos), sondern in alle möglichen – bisher auch alternative Anlagen – genannte Asset Klassen, von Private Equity, über Kryptowährungen und tokenisierten Real Assets, Kreditvermittlungsplattformen mit dem jeweils besten Angebot für die Kunden, blockchainbasierte Abrechnung von Verbrauchsgütern und minutengenaue Abrechnungen, und das alles optimiert mit Künstlicher Intelligenz.
Und diese Dienstleistungen werden schon längst nicht mehr mit Bankgebäuden und Filialen angeboten und auch nicht mehr notwendigerweise mit dem Web-Auftritt von Banken verbunden. Dienstleistungen und Produkte werden dort dem Verbraucher oder Unternehmen angeboten, wo der realwirtschaftliche Prozess stattfindet (Stichwort: embedded finance). Ich kaufe – und die Bezahlung oder der Kredit werden automatisch angeboten. Ich investiere – und ich erhalte Reporting und Szenarien gleich in meiner Gesamtsicht visualisiert (und die Steuerbehörde wird auch gleich informiert).
Die Finanzindustrie wird auch im neuen Jahrhundert kein Avantgardist der Innovation. Zum Überleben wird sie sich aber den Innovationen anderer schneller anpassen müssen – sonst wird sie das Schicksal der norddeutschen Hanse erleiden.
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