Bananenbrot-Fieber, Jogginghosen-Shaming und Corona-Laziness – wie produktiv muss eine Pandemie sein?

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12. November 2020

Es ist Bananenbrot Nummer 11, dessen himmlisch-süßer Duft mir durch mein Instagram-Feed und meine obligatorische Schutzmaske in der Nase zu kribbeln scheint. Einer meiner abonnierten Accounts züchtet seit des Lockdowns Pflanzen in kleinen Marmeladengläsern, abgeschlossene Öko-systeme, die sich dank ihres perfekten ökologischen Gleichgewichts selbst gießen. Sogenannte Influencer, die Marketing-Perlen des zwanzigsten Jahrhunderts, halten grinsend Smoothies in allen Farben des Regenbogens in die Kamera, während im Hintergrund noch Farbeimer und Malerrollen, Überbleibsel des Projektes „Home DIY 2020“ auf ein produktives Wochenende verweisen. Meine Youtube-Startseite ist gespickt von Workout-Videos, die mir helfen sollen, möglichst sprungfrei, leise und nachbarfreundlich Kalorien zu verbrennen – im Vorfeld wurde ja das eingangs erwähnte Bananenbrot genascht. Im Frühling sollte ich während des ersten Lockdowns ein Hochbeet bauen, Yoga praktizieren und endlich meinen Dachboden ausmisten. Jetzt habe ich ja zum Glück endlich mal wieder Zeit, die Sprache zu lernen, die mich seit Jahren fasziniert, meine Liebe zum Lesen wiederzuentdecken und literweise Kürbissuppe zu kochen.

Nach dem Lockdown brauche ich erstmal einen Monat Urlaub.

„Es gibt kein Recht auf Faulheit“ – scheinbar Mantra einer Gesellschaft, eingebläut durch Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder zu Beginn eines Jahrtausends, in dem durch Digitalisierung und technologische Innovation alles plötzlich schnell, effizient und unter Optimierung der verwendeten Ressourcen stattfand.

Covid-19 hat unserem schnelllebigen Alltag einen Bremsklotz in den Weg gelegt; wir mussten anhalten, uns umsehen… und dann? Anstatt uns gemütlich niederzulassen und abzuwarten, dass die Hürde sich auflöst, beginnt die Menschheit scheinbar orientierungslos auf der Stelle zu treten. Covid-19 wird zum Wettkampf, den nur jener gewinnen kann, der, während Wirtschaft, Alltag und Sozialleben stillstehen, möglichst genau das Gegenteil tut.

Während die Produktivität einer aktuellen DAK-Studie zufolge im Home Office stieg und gleichzeitig beruflicher Druck zurückgingen – fühlten sich vor Ausbruch der Pandemie über ein Fünftel der Beschäftigten beruflich gestresst, so taten dies nun nur noch 15% – stieg gleichzeitig der Druck nach Selbstoptimierung. Selbst- was? Dafür war in der Vergangenheit, damals als noch alles so normal schien, definitiv keine Zeit gewesen. Zum Backen? Zum Meditieren? Gar zur Züchtung von Bio-Tomaten im hauseigenen Hochbeet? Niemals.

Früher sagte man, Du bist was Du isst. Heute bist Du eher das, was Du konsumierst; ein Ergebnis der täglichen Konfrontation mit (digitalen) Medien, (virtuellen) Schlagzeilen und optimierten Realitäten.

Insbesondere bei der Nutzung sozialer Medien findet man sich, hat man den Algorithmus großzügig mit Aktivitätenprotokollen und Interaktionsmustern gefüttert, schlussendlich in einer Filterblase wieder, die nicht nur den Eindruck erweckt, zum allumfassenden Glück fehle uns nur noch die trendige Saftkur, die gerade alle machten, sondern uns zudem nur ein winziges Stück des tatsächlichen Realitäten-Kuchens präsentiert.

Die Pandemie setzt uns unter Druck. Natürlich. Wir befinden uns in einer Ausnahmesituation, wie wir sie noch nie zuvor erlebt haben und niemand kann sagen, was nun der richtige Weg ist. Das Bananenbrot stillt womöglich unseren Appetit, wohl kaum aber die Sorgen nach dem Morgen. Konversation kann zwar auch mit den neuen Pflanzen auf der Terrasse geführt werden, nichtsdestotrotz nimmt in der Isolation aber die Einsamkeit Überhand.

Natürliche Reaktion: Flucht – am besten zur Verwandtschaft auf dem Land, die wollten wir schon immer mal wieder besuchen und die Pandemie grassiert dort weitaus weniger stark als in den lokalen Großstädten.

Oder: Stress. Die Krise, die Ungewissheit, das ständige Gefühl, der Natur machtlos ausgeliefert zu sein. Der Mensch muss und will etwas tun – die Frage nach der Rationalität solcher Übersprungshandlungen steht dabei außer Frage. Hamsterkäufe, das Horten von Hygieneartikeln und kohlenhydratreichen Nahrungsmitteln, das scheinbar panische Sortieren des Kleiderschranks. Wir handeln. Wie genau, ist schlussendlich egal. Durch solche Tätigkeiten versuchen wir, die Kontrolle über das Chaos zurückzugewinnen, die Situation zu beherrschen.

Vielleicht aber auch: Schockstarre. Wir sitzen Zuhause – womöglich allein – außer Kontakte zu minimieren und uns sozial zu isolieren können wir tatsächlich nichts machen, was die Situation rund um die Pandemie nachhaltig beeinflusst. Wir greifen nach dem Handy, vertreiben uns die Zeit mit dem Scrollen durch die Untiefen des Netzes und der sozialen Medien. Da ist es wieder: Das Gefühl nach mangelnder Produktivität, das Schuldgefühl, den Tag scheinbar vergeudet zu haben. Die Schockstarre verwandelt sich in Stress oder den (sozialen) Zwang zur Selbstoptimierung. Schnell noch eine Runde joggen gegangen und zwischen dem darauffolgenden Protein-Shake und low-carb-Abendessen die Renovierung des Wohnzimmers geplant. Dass man damit nicht allein ist merkt man spätestens am nächsten Morgen, wenn sich bereits vor Sonnenaufgang in Folge der Kundenzahlbeschränkung eine meterlange Schlange vor dem Baumarkt gebildet hat.

Möglicherweise optimieren wir uns selbst viel mehr, wenn wir uns nicht optimieren. Der entspannte Nachmittag auf der Couch, der Spaziergang im Wald, der etwas zu lang geratene Mittagsschlaf. Solche Aktivitäten fördern nicht nur unsere Konzentration, sie erhöhen auch unsere Effizienz bei der Bewältigung der wirklich wichtigen Aufgaben. Und wie optimal ist ein Optimum, welches nur durch externen Druck erlangt wird, wirklich?

Deswegen: Lasst die Jogginghose in Frieden. Ob wir in ihr nun einen Halb- oder Netflix-Marathon zurücklegen – prima. Wieso sollte eine Pandemie mich zum Konditor machen, wenn sich meine Aktivitäten in der Küche die letzten Jahrzehnte auf das Zubereiten von Tiefkühlprodukten beschränkten? Die Tomatenpflanze wird Opfer meines mangelnden grünen Daumens, ich bevorzuge die selbstversorgenden Pflanzen im Glas, die weder meine Zuneigung noch gärtnerische Fähigkeiten erfordern.

In meinen Augen eine Win-Win-Situation.

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